Gedanken zum Kirchenkonzert

von Enrico Trummer

 

Auch wenn das „Sakrale“ – das „Geistliche“ – mehr und mehr an Bedeutung in der heutigen Gesellschaft verliert, bleibt festzuhalten: Ohne das christliche Leben in Kirchen und Klöstern im Mittelalter hätte sich die abendländische Musik nicht so entwickeln können. Die Entscheidung der Kirchengründer, Musik ausdrücklich in den Gottesdienst einzubinden, hat die Entwicklung der europäischen Musikgeschichte auf unvergleichliche Weise beeinflusst. Gottesdienste wurden durch Antiphon- und Hymnengesang zu besonderer Feierlichkeit gesteigert und der berühmte Papst Gregor hat die einstimmigen und unbegleiteten „gregorianischen Choräle“ vereinheitlicht, aufgeschrieben und normiert – wie es ihm die Taube als Symbol des „heiligen Geistes“ quasi diktiert hatte. Eine Besonderheit der abendländischen Musik wurde ebenfalls in den – auf vielen Gebieten – Kultur-stiftenden Klöstern des Mittelalters entwickelt: So „erfand“ um das Jahr 1030 der Benediktiner Mönch Guido von Arezzo die Vorläufer unserer heutigen Notenschrift. Nun konnten die traditionell mündlich überlieferten Gesänge aufgeschrieben und weitergegeben werden – ein Alleinstellungsmerkmal der abendländischen Musikgeschichte. Darüber hinaus wurde durch die neu entwickelte Musik-Schrift auch die Grundlage einer kunstvollen Mehrstimmigkeit, und „systematisches Komponieren“ in einer stil-wandelnden (durch aufeinander aufbauende „Schulen“) Weise möglich. Musik wurde so zur interpretierbaren „Musik-Literatur“ – die Voraussetzung für unser kulturelles Musikleben bis zum heutigen Tag. Chöre, Orchester, Interpreten – auch Musik als Studier- oder Schulfach – zehren tatsächlich von diesen christlich geprägten Grundlagen. So ist es richtig und wichtig, dass auch ein weltlicher Chor wie der Kornwestheimer Liederkranz sich hin und wieder mit sakraler Musik beschäftigt, die auf den beschriebenen Grundlagen unserer Musikkultur entstanden ist. Die „Dreiteilung“ unserer heutigen durchgehend sakralen Programmzusammenstellung reflektiert dabei folgende Perspektiven: Im ersten Teil thematisieren die ausgewählten Chorsätze zentrale Themen und Gattungen des musikalischen Gottesdienstes im spirituellen Raum:

  1. „Lob und Preis“: Bezüge zum „Te Deum laudamus“ (ursprünglich lateinischer Lob- und Bittgesang aus dem 4. Jahrhundert) finden sich im gleichnamigen volkstümlichen Satz aus Ost-Tirol. Aus der Feder von F. Silcher stammen „Alles, was Odem hat“ und „Jauchzet dem Herrn“ (ursprünglich ein lateinischer Hymnus): Alle Chorsätze vereint der jubilierende, schwungvolle und zuversichtliche Ausdruck – passend zur Thematik.
  2. „Psalmvertonung“: Sehr häufig sind Psalmen die textliche Grundlage sakraler Musik: Der anfangs getragene und am Ende jubilierende Chor „Herr Deine Güte“ von A.E. Grell vertont Ausschnitte aus Psalm 36.
  3. „Motette“: Eine wichtige Gattung sakraler Musik ist die „Motette“: Hier werden Texte in Abschnitten mit wechselnder Satzart (polyphon-homophon) vertont. Der Chorsatz „Der Mensch lebt und bestehet“ des Schweizers H.G. Nägeli greift auf ein Gedicht von Matthias Claudius zurück und beginnt ruhig-kontemplativ – ehe es am Schluss mit einem hymnisch gesteigerten Finale auf „Halleluja – Amen“ ausklingt.
  4. Freie Gedichtvertonung: Michael Haydn (der Bruder des berühmten Joseph Haydn und auch Vorbild von Franz Schubert) war ebenfalls ein bedeutender Komponist der Aufklärung und des empfindsamen Stils: Seine „Hymne an Gott“ (nach einem Text von Johann Agricola, protestantischer Theologe und Schüler Martin Luthers) gibt mit seiner schönen Melodie und klaren Gliederung ein anrührendes Beispiel aus der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zudem verleiht die Musik dem Text einen feierlichen, empfindsamen und erhebenden Charakter,  wie er ideal-typisch auch bei den Wiener Klassikern (etwa Mozart) vorherrscht.

Zentral im zweiten Teil unseres Programms steht die „Deutsche Messe“ von Franz Schubert. Ihren Namen hat die Deutsche Messe daher, dass sie, anders als die meisten geistlichen Werke der Zeit, die  deutsche Sprache verwendet. Original hat Schubert dieses Werk für einen gemischten Chor im Auftrag und nach Texten des österreichischen Physik-Professors, Bibliothekars und Dichters Johann Ph. Neumann im Jahre 1827 komponiert und lediglich unter dem Namen „Gesänge zur Feier des heiligen Opfers der Messe“ veröffentlicht. Schubert quittierte hierfür am 16. Oktober 1827 den Empfang eines Honorars von 100 Wiener Gulden und bedankte sich beim Dichter und Auftraggeber Professor J. Ph. Neumann mit den Worten: Geehrtester Herr Professor! Ich habe die 100 fl.W.W. (100 Gulden), welche Sie mir für die Composition der Meßgesänge schickten, richtig empfangen, und wünsche nur, daß selbe Composition den gemachten Erwartungen entsprechen möge. Mit aller Hochachtung, Ihr Ergebenster Frz. Schubert“. Allerdings gab es von kirchlicher Seite Vorbehalte gegen das neue Werk. Es wurde mit erzbischöflichem „Censur“-Protokoll vom 24. Oktober 1827 zwar „zugelassen“, jedoch nicht für den offiziellen Kirchengebrauch. Der Grund hierfür ist wohl in dem in diesen Jahren beginnenden Streit um die wahre“ Kirchenmusik zu suchen, der im deutschsprachigen Raum zur Bewegung des Cäcilianismus geführt hat.

Die Gesänge zur Feier des Heiligen Opfers der Messe waren also keineswegs eine „Messe“ im Sinne einer Vertonung des Ordinariums, noch waren sie als solche gedacht. Bei allen textlichen Freiheiten, die sich Komponisten des beginnenden 19. Jh. bei der Komposition von liturgischer Musik leisten konnten: Eine derartige Verwendung wäre vermutlich sogar den Urhebern zu weit gegangen. Nichtsdestoweniger erreichte die Sammlung rasch weite Verbreitung in Österreich, Süddeutschland und Schlesien und erlangte höchste Popularität. Aus diesem Grund wurden die „Gesänge“ etwa um 1850 für den uneingeschränkten kirchlichen Gebrauch freigegeben. 1928 schließlich, im 100. Todesjahr Franz Schuberts, verordneten die österreichischen Bischöfe, dass die nunmehr bereits als „Deutsche Messe“ bezeichnete Sammlung in allen Kirchen als Gemeindegesang zu singen sei. Auch in den katholischen Gegenden Deutschlands wurde diese Anordnung getroffen. Noch heute sind Teile der Deutschen Messe im Gotteslob, dem allgemeinen Gesangbuch der deutschsprachigen Katholiken enthalten, und es gibt nur wenige Stücke darin, die sich bei den Gemeinden einer ähnlichen Popularität erfreuen. Leider umfasst das Gotteslob nicht alle Teile, und die übrigen nicht mit dem vollständigen Text. Der Grund ist vermutlich der, dass die Neumann‘schen Texte, entstanden zwischen Aufklärung und Romantik, heute nur noch schwer in die Zeit passen.

Schubert hat sein Werk im Original in zwei Fassungen vorgelegt: Zum einen mit Orgelbegleitung und zum anderen mit einer Bläserbegleitung. Sein Bruder Ferdinand Schubert hat dann dieses Werk im Jahre 1854 auch für vierstimmigen Männerchor a capella arrangiert – diese Fassung wird heute vom Liederkranz präsentiert. Schubert zeigt sich in seinem Werk als Meister in der Erzeugung einer fromm-emotionalen Stimmung nicht nur in seinen eingängigen und gut singbaren Melodien, sondern auch in seinen ausdrucksstarken, wenn auch sparsamen, harmonischen Modulationen. Die Satzart dieser Messe ist überwiegend homophon gehalten und die syllabisch gehaltene Deklamation mit ihrer gleichmäßigen Rhythmik zeigt eine bewusste Nähe zum Gemeindegesang, was der Popularität im sonntäglichen Gebrauch sicherlich zugutekam. Dabei stützte Schubert sich zudem eindeutig auf sein Vorbild Michael Haydn, eines Komponisten, den er sehr schätzte und von dem wir im ersten Teil des heutigen Programms auch ein Werk präsentieren.

Im dritten Teil wenden wir uns dem Spiritual zu. Es handelt sich dabei um eine in den USA mit Beginn der Sklaverei im 17. Jahrhundert entstandene christliche Liedgattung. Die Spirituals sind als Wurzel des Gospels – also der  Kirchenmusik afro-amerikanischer Gemeinden – anzusehen. Die überlieferten Spiritual-Texte sind fast ausschließlich religiösen Inhalts und erzählen von dem Leben geschlagener, geschundener und sehnsüchtiger Menschen – eben der Sklaven. Sie handeln von der Hoffnung dieser Menschen und ihrem Glauben an Gott.

Nobody Knows the Trouble I’ve Seen: Dieser Song, dessen Verfasser  unbekannt ist, gilt als herausragendes Beispiel der Gattung Spiritual. Er gilt als „die ergreifendste Klage über die Leiden der Sklaverei“. Das Stück wurde von dem Bariton Harry Thaker Burleigh schriftlich überliefert, einem Schüler Antonin Dvoraks.

Joshua fit the battle of Jericho: Das sehr beliebte und bekannte Spiritual erzählt die Geschichte Josuas (Buch Joshua), der die Israeliten aus Ägypten führte und mit ihnen die stark befestigte kanaanäische Stadt  Jericho belagerte. Die durch Joshua eingesetzte Bundeslade und der damit verbundene Klang der Widderhörner brachten die Mauern der Stadt zum Einstürzen. Wie bei vielen Spirituals ist die Herkunft von Melodie und Text unbekannt, weil es traditionell mündlich überliefert wurde. Bei der GEMA ist dieses Spiritual als „gemeinfrei“ eingestuft – und es  existieren viele Varianten.

Amazing Grace ist ein englischsprachiges geistliches Lied, das zu den beliebtesten Kirchenliedern der Welt zählt. Amazing Grace verdankt seine Entstehung einem Schlüsselerlebnis seines Autors John Newton, der Kapitän eines Sklavenschiffs war. Nachdem er am 10. Mai 1748 in schwere Seenot geraten und nach Anrufung Gottes gerettet worden war, behandelte er zunächst die Sklaven menschlicher. Nach einigen Jahren gab er seinen Beruf sogar ganz auf, wurde stattdessen Geistlicher und trat für die Bekämpfung der Sklaverei ein.

Halleluja: Bei diesem Song aus dem Jahre 2004 handelt es sich tatsächlich um eine Komposition der deutschen Musikproduzentin, Komponistin und Schlagersängerin Hanne Haller im Stil von Gospel-Gesang. Der Songtext handelt von der Bedeutung von Liebe und Zusammensein. Er betont, dass wir alle miteinander verbunden sind und uns auf dieser Welt brauchen. Er ermutigt uns, dankbar für das Geben, den Glauben und die Kinderaugen zu sein. Der Song hatte es sogar in verschiedene Hitparaden gebracht und wurde von der Komponistin in etlichen Fernsehshows präsentiert. Bis kurz vor ihrem Krebs-Tod 2005 war die erfolgreiche Künstlerin und Produzentin Hanne Haller in Fernsehshows mit diesem Song zu hören.

Oh Happy Day ist ein von den Edwin Hawkins Singers 1969 veröffentlichter Gospel-Song, der sogar die internationalen Hitparaden erreichte. Der Text des Songs wurde vom englischen Pastor Philipp Doddridge ursprünglich unter dem Titel Oh Happy Day, That Fixed My Choice verfasst. Publiziert wurde dieser Gospelsong postum 1755 von seinem Freund Job Orton in einer großen Kirchenlieder-Sammlung. Ursprünglich soll dieser Song auf eine 1704 von J.A. Freylinghausen komponierte Fassung zurückgehen. Der Refrain wird dem Londoner Edward Francis Rimbault (1816-1876) zugeschrieben, der das Lied 1854 aufgegriffen hatte.